Ungewöhnlich und selten ist der Nachwuchs der Schabrackentapire: in der Natur gleichermaßen wie in der Wilhelma. Daher ist die jüngste Meldung aus dem Zoologisch-Botanischen Garten eine doppelt gute Nachricht. Erstmals nach 43 Jahren ist in Stuttgart ein Jungtier dieser einzigen asiatischen Art der Tapire auf die Welt gekommen. Über denselben Zeitraum ist deren Vorkommen in der Wildnis um rund die Hälfte eingebrochen. So gilt das Kleine als ein potenzieller Stammhalter für den Fortbestand seiner bedrohten Art.
Das Neugeborene machte heute, Mittwoch, 10. August, seinen ersten Ausflug an die frische Luft und ist somit nun auch für Besucherinnen und Besuchern zu sehen. So konkurriert es ab sofort mit den Geparden-Fünflingen, die derzeit im Rampenlicht stehen, um Aufmerksamkeit. Auch als Alleinunterhalter dürfte der kleine Charakterkopf dabei gute Chancen haben. Dazu trägt nicht nur der Minirüssel bei, den er sowohl zum Greifen nutzt als auch im Wasser als Schnorchel einsetzen kann. Kurioserweise scheint der Nachkomme, dessen Geschlecht noch unbekannt ist, auf den ersten Blick so gar nicht nach den Eltern zu kommen. Anders als die trägt er nicht die klare Schwarzweißfärbung, die an eine Pferdedecke erinnert und ihnen so den Namen eingebracht hat. Vielmehr besteht seine helle Zeichnung aus Punkten und durchbrochenen Linien auf dunkelbraunem Grund. Bei den Waldbewohnern ist das unregelmäßige Muster für den nur wenige Kilo leichten Knirps in Bodennähe die bessere Tarnung, während die bis zu 50 Mal so schweren und an die 2,50 Meter langen Erwachsenen im Schattenwurf der hohen Bäume mit ihrem schwarzweißen Fell weniger auffallen. Erst mit zehn Wochen beginnt die Umfärbung, die insgesamt etwa drei Monate braucht.
Allerdings setzt den Schabrackentapiren massiv zu, dass ihre tropischen Wälder in Thailand, Burma, Malaysia und Indonesien durch Palmölplantagen und Ackerflächen in immer kleinere Parzellen zerstückelt oder ganz abgeholzt werden. So verringern sich ihr Lebensraum und die Chance, sich in der Natur fortzupflanzen. Deshalb kooperieren die Zoos in einem Europäischen Erhaltungszuchtprogramm (EEP), um in menschlicher Obhut eine gesunde Population dieser charismatischen Tiere als Reserve aufrechtzuerhalten und zudem den Schutz des Lebensraums in ihrer Herkunftsregion zu fördern. Da das EEP aktuell nur 50 Tiere umfasst, ist der Beitrag umso bedeutsamer, den die Wilhelma mit diesem Zuchterfolg dazu leisten kann.
Die Wilhema ist in diesem Frühjahr wegen ihrer aktiven Rolle für den internationalen Artenschutz in die Weltnaturschutzunion (IUCN) aufgenommen worden. Auf der bekannten „Roten Liste“ stuft die IUCN Schabrackentapire als „stark gefährdet“ ein. Dass der Wilhelma diese Nachzucht nach langer Zeit durch eine angepasste Haltung geglückt ist, reiht sich ein in den jüngsten Erfolg, dass Ende Juni in dem Zoologisch-Botanischen Garten erstmals Geparden geboren wurden.
Auch für die Tapire hat die Wilhelma in den letzten Jahren an der Haltung einiges geändert. Nachdem 2010 mit Thai der letzte Vertreter gestorben war, blieb der Stuttgarter Zoo einige Zeit ohne Tapire. Erst als 2017 die Haltung der großen Flusspferde aufgegeben wurde, ergab sich die Möglichkeit, das Flusspferdhaus und die Außenanlagen für die wesentlich kleineren Schabrackentapire umzugestalten.
Als Erste bekamen dort mit Ketiga aus dem Zoo Leipzig 2017 und Penang aus dem Zoo Rotterdam 2018 zwei Jungtiere als „Männer-WG“ eine Unterkunft. Als auf Empfehlung der Zuchtkoordinatoren des EEP Ketiga seinerseits zur Zucht nach Rotterdam wechselte, konnte 2019 Maya aus dem Zoo Edinburgh den Platz in der Wilhelma einnehmen. Da Maya und Penang noch recht jung waren, mussten sie längere Zeit getrennt bleiben, bevor mit vier beziehungsweise fünf Jahren 2021 ein Paar aus ihnen werden durfte. Offensichtlich hat es direkt beim ersten Treffen gefunkt, denn nach zirka 13 Monaten war es am 1. August so weit: eine gelungene Überraschung, denn bei ihrer gewohnten Leibesfülle hatte niemand vermutet, dass Maya tatsächlich bereits trächtig sein könnte. Umso größer ist die Begeisterung darüber. Nach der Geburt blieb das Tapirhaus einige Tage geschlossen, damit Mutter und Kind ihre Bindung in Abgeschiedenheit festigen konnten. Dabei machte das Kälbchen so gute Fortschritte, dass es jetzt erstmals vor die Tür darf. Bei dem ersten Ausgang nahm es sogar bereits ein Bad im Wasserbecken und erwies sich als Naturtalent beim Schwimmen.