Montag, 11. September 2023, 19:30 Uhr, Jüdisches Museum Westfalen
„Kein Platz für Antisemitismus“? Das wäre nicht nur für Jüdinnen und Juden in Deutschland gut, aber auch Jahrzehnte nach Beendigung der NS-Herrschaft gibt immer noch Antisemitismus und leider auch Anschläge auf Synagogen, jüdische Männer und Frauen sowie Gedenkorte. Der Versuch des Rechtsextremisten Stephan B., am 9. Oktober 2019 die am Feiertag Jom Kippur in der Hallenser Synagoge versammelten Jüdinnen und Juden zu ermorden, lehrt Vieles über die tödlichen Gefahren dieser untergründigen Stimmung.
Die von der Schriftstellerin Esther Dischereit herausgegebene Dokumentation „Hab keine Angst, erzähl alles! Das Attentat von Halle und die Stimmen der Überlebenden“ schildert einerseits die außergewöhnliche Straftat, zum andern aber auch einen ungewöhnlichen Strafprozess. Der geplante Massenmord in der Synagoge in Halle und das nach dem Scheitern erfolgte und rassistisch motivierte Ausweichen auf zwei eher zufällige Opfer war für die jüdischen Gemeinschaften in ganz Deutschland ein Fanal. Die Sicherheitsinteressen der jüdischen Gemeinschaften in Deutschland werden oft nicht ernst genug genommen, und ihre Arbeit ist ungeachtet aller Sonntagsreden weiterhin prekär.
Im nachfolgenden Prozess kamen die Stimmen der Betroffenen, von Angehörigen der Opfer und ihren Vertreter*innen in nicht alltäglicher Intensität zur Sprache, aus der Dokumentation ergibt sich ein bewegendes Bild dieses Anschlags und seiner Folgen: Wer hat wie reagiert, geholfen, weggesehen, welche Hilfen sind überhaupt möglich in einem solchen Fall? Die Dokumentation spiegelt die Vielfalt der betroffenen Biografien und der Reaktionen, die sich in kein Klischeebild von Jüdinnen*Juden und Migrant*innen fügen – „Zeuginnen, nicht Opfer“.
Esther Dischereit sagte selbst über dieses Projekt: „Dieser Prozess schlug eine Seite auf, die so bisher im Blick der politischen Akteur*innen nicht oder zu wenig gesehen wurde. Zeugenschaft geht weit über die Ermittlungstatbestände hinaus. Es bedeutet Raum nehmen und selbst sprechen und nicht unterbrochen werden. Das Zuhören spielt eine Rolle. Wir brauchen die Betroffenen als Expert*innen und Zeug*innen nicht nur für gesonderte Veranstaltungen, sondern vor Gericht (…) Sie zeigen uns, wie wir uns von der Dämonisierung des Bösen befreien können. Es ist trostreich zu sehen, dass der Täter sie eben nicht zerstören konnte; er konnte auch nicht erreichen, dass sie ihr ‚Jüdisch- oder Muslimischsein‘ aufgeben. Im Gegenteil: sie blieben jüdisch, und ihre Gebundenheit gibt ihnen Stärke.“
Die Lyrikerin, Essayistin, Erzählerin und Theaterautorin Prof. Esther Dischereit stellt Grundzüge der Dokumentation am Montag, 11. September um 19.30 Uhr im Jüdischen Museum Westfalen (Dorsten) vor. Der Abend findet unter der Schirmherrschaft der Antisemitismusbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen statt. Der Eintritt ist frei.