Mehrgenerationenhaus Wilhelma: Gleich bei beiden Zweifingerfaultier-Paaren des Zoologisch-Botanischen Gartens in Stuttgart hat es Ende April Nachwuchs gegeben. Jetzt sind die inzwischen aktiveren Winzlinge für die Besucherinnen und Besucher gut zu sehen. Für die 21-jährige Marlies ist es bereits das fünfzehnte Jungtier, für ihre knapp achtjährige Tochter Edeka das dritte. Marlies ist somit innerhalb von drei Tagen nicht nur erneut Großmutter, sondern auch selbst noch einmal Mutter geworden. Das ist etwas Besonderes: Denn Mike, ihr langjähriger Partner in diesem sehr erfolgreichen Zuchtpaar, ist im Juli 2021 im hohen Alter von 28 Jahren gestorben. Doch hatte er zuvor mit Marlies offensichtlich noch gemeinsamen Nachwuchs auf den Weg gebracht, der nun auf die Welt kam. Dem Halbwaisen fehlt es jedoch an nichts.
Zweifingerfaultiere sind in der Regel Einzelgänger, die nur zur Paarung zusammenfinden. Aufgezogen werden die Jungtiere von den Weibchen, weshalb das Fehlen von Mike für das Neugeborene keine großen Auswirkungen hat. Neugierig entdecken die Neugeborenen die Welt zunächst auf dem Bauch der Mütter. Sie zeigen bereits Interesse am Futter der erwachsenen Tiere. Gemeinsam zupfen sie Laub von den Ästen, die ihnen die Tierpflegerinnen und -pfleger reichen.
Marlies lebt mit ihrem Nachwuchs in einem Nebengehege im Menschenaffenhaus, das sie sich mit anderen Arten aus ihrer südamerikanischen Heimat teilen: Zwergseidenäffchen und Springtamarinen. Edeka, die als erwachsenes Weibchen von ihrem Vater Mike getrennt zu halten war, lebt dagegen mit ihrem Partner Flash und dem gemeinsamen Nachkommen im Amazonienhaus zwischen Goldkopflöwenäffchen, Weißkopfsakis und Waldschildkröten.
Die hoch spezialisierten Kletterprofis haben keinen an den Jahreszeiten orientierten Zyklus und können nach einer Tragzeit von zehn bis zwölf Monaten ganzjährig Nachwuchs bekommen. Eine umso freudigere Überraschung ist also der zeitgleiche Kindersegen an den unterschiedlichen Orten in der Wilhelma. Bisher lagen immer mehrere Monate zwischen den Geburten der beiden Weibchen. So kann nun beobachtet werden, wie parallel gleich zwei Jungtiere aufwachsen. Sie haben in jedem Fall dieselben Startbedingungen: Bei der Geburt sind die Tiere aus der Ordnung der „Zahnarmen“ bereits vollständig ausgebildet und krallen sich direkt im Fell auf dem Bauch der kopfüber hängenden Mutter fest. Allerdings werden die kleinen Faultiere erst mit neun bis zwölf Monaten selbstständig. Bis dahin suchen sie immer wieder den Platz auf dem Bauch der Mutter auf und bedienen sich an deren Futter – besonders Kartoffeln sind bei den langsam wirkenden Säugetieren mit der kahlen Schnauze und den markanten Augen in der Wilhelma sehr beliebt. Daneben gibt es für sie eine Mischung aus unterschiedlichem Obst und Gemüse. Das Geschlecht der Jungtiere ist schwer zu erkennen und noch nicht bekannt. Erst eine genetische Untersuchung wird Aufklärung darüber bringen.
Auch wenn Zweifingerfaultiere im nördlichen Südamerika noch nicht als gefährdet gelten, schwindet ihre Zahl aufgrund von immer knapper werdendem Lebensraum. Besonders die Rodung der Regenwälder trägt entscheidend zum Rückgang der Population bei.