Vor ziemlich genau 50 Jahren wurde das alte Menschenaffenhaus der Wilhelma in Stuttgart eingeweiht. 1973 galt es als das modernste der Welt. Alle vier großen Menschenaffen-Arten wurden hier gezeigt – Bonobos und Gorillas, Schimpansen und Orang-Utans. Ein halbes Jahrhundert später werden in das Gebäude Tiere aus Down Under einziehen: Rund vier Jahre lang hat die Wilhelma in Eigenregie das ehemalige Menschenaffenhaus aufwendig zur Terra Australis umgebaut.
Der glatte Sichtbeton und die gekachelten Wände in den Innenräumen sind verschwunden, ebenso die großen Treppenstufen, auf denen sich die Besucher*innen einst niederlassen konnten, um die Tiere zu beobachten. Stattdessen wird in der neuen Terra Australis deutlich, was eine moderne Anlage für Tiere und Pflanzen ausmacht: eine naturnahe Gestaltung, die den natürlichen Lebensraum der gezeigten Arten wiederspiegelt. Der Besucherbereich wurde verkleinert, um den Tieren mehr Platz zu bieten. Auch die Außenbereiche wurden deutlich vergrößert.
Die Terra Australis ist in drei Segmente unterteilt und komplett barrierefrei. Im ersten Bereich, in den die Koalas einziehen, wurde das Dach durch große Glasscheiben ersetzt, um mehr Tageslicht hineinzulassen. In den beiden anderen Gebäudeteilen ist es dagegen dunkel: Viele Tiere Australiens sind nachtaktiv. Allein das wird schon eine Attraktion darstellen. „Das 2016 geschlossene Nachttierhaus der Wilhelma ist vielen Besucher*innen in Erinnerung geblieben und wird noch heute oft nachgefragt“, sagt Wilhelma-Direktor Dr. Thomas Kölpin. „Wir freuen uns daher besonders, unseren Gästen jetzt wieder ein vergleichbares Erlebnis bieten zu können.“
Möglich war dieses Projekt nur durch das Zusammenspiel von über 50 Unternehmen und Gewerken. „Größte Herausforderung war für uns, das alte Gebäude bis auf den Rohbau wieder zurückzubauen“, berichtet Hans-Joachim Treiber, Leiter des Fachbereichs Technik und Bau. Dabei mussten Schadstoffe, wie Asbest und PCB, entsorgt und zunächst die Bausubstanz saniert werden. „Bei der Sanierung wurde nicht nur den Bedürfnissen der zukünftigen tierischen und pflanzlichen Bewohner Rechnung getragen. Auch Nachhaltigkeitsaspekte spielen eine zentrale Rolle. Bei den verwendeten Materialien wurde darauf geachtet, dass sich diese gut recyceln lassen.“ Hinter dem Gebäude wurde im Boden eine Regenwasserzisterne versenkt. Das hier aufgefangene Wasser dient zum einen zum Gießen der Pflanzen in dem Haus. Zum anderen wird aber auch die Luft, mit der das Gebäude belüftet wird, mit dem Wasser im Sommer gekühlt und im Winter gewärmt.
Die Idee, Koalas in die Wilhelma zu holen, ist lange gereift. Schon vor Jahren hat Wilhelma-Direktor Dr. Thomas Kölpin Kontakte nach Australien aufgebaut und Verhandlungen geführt. Im Dezember 2018 wurde schließlich der Vertrag über vier Koalas unterzeichnet. Die Haltung der beliebten Beuteltiere ist recht anspruchsvoll, deshalb sind daran einige Bedingungen geknüpft. So muss die Wilhelma stets Futter für vier bis fünf Tage für die anspruchsvollen Tiere bereithalten, die sich ausschließlich von frischen Eukalyptusblättern ernähren. Dafür wurde ein 320 Quadratmeter großes Gewächshaus auf dem Dach des so genannten Sozialgebäudes hinter den Kulissen errichtet, in dem rund 100 Eukalyptusbäume heranwachsen. Einige Bäume sind mittlerweile so groß, dass sie als Klettermöglichkeiten für die Koalas direkt in das Australienhaus gesetzt werden. Ist der Baum kahlgefressen, wird er ausgetauscht.
Insgesamt werden elf Tierarten in der neuen Terra Australis zu sehen sein, darunter Bürstenschwanz-Rattenkängurus, Fuchskusus und Kurzkopfgleitbeutler. Die meisten von ihnen sind Beuteltiere, eine in Europa nicht vorkommende Tiergruppe. Die Jungtiere von Beutelsäugern kommen unterentwickelt und geradezu winzig zur Welt. Die Mütter tragen ihren Nachwuchs noch wochen- oder monatelang in einem Beutel oder einer Hautfalte herum, bis er ausgewachsen und selbstständig ist.