Die Wilhelma hat ab jetzt eine noch gewichtigere Stimme, wie die Zoos und Aquarien in Europa sich für die Zukunft aufstellen. Bei der Mitgliederversammlung des kontinentalen Dachverbands EAZA wurde der Direktor des Zoologisch-Botanischen Gartens in Stuttgart, Dr. Thomas Kölpin, nicht nur in seinem Mandat im Council, also dem Rat der EAZA, auf weitere drei Jahre bestätigt, sondern zudem in das Executive Committee gewählt. Darüber hinaus wurde ihm das Amt des Schatzmeisters übertragen.
Zu Beginn seiner erweiterten Tätigkeit skizziert er seine wichtigsten Ziele. Dazu zählt der promovierte Biologe erstens, das Wohlergehen der Zootiere in allen Mitgliedereinrichtungen durch die Weiterentwicklung der Haltungsbedingungen zu stärken und regelmäßig von externen Gutachtern überprüfen zu lassen. Zweitens will Kölpin das aktive Engagement der Zoos für den Artenschutz ausbauen und dabei die Öffentlichkeit vermehrt in das Engagement gegen den bedenklichen Verlust der Biodiversität einbinden. Und drittens gelte es, den Verband und seine Mitglieder trotz der zunehmenden Zahl internationaler Krisen von Corona-Pandemie über Kriege bis zu explodierenden Energiekosten auf finanziell gesunden Beinen zu halten.
In der EAZA sind rund 350 Zoos und Aquarien organisiert. In der jährlichen Vollversammlung treffen sie alle Grundsatzentscheidungen. Die aus jedem Land proportional in den Rat entsandten Vertreter legen als eine Art Parlament die Ausrichtung und Schwerpunkte der Verbandsarbeit fest. Das Executive Committee ist das ausführende Organ. Es koordiniert die Fachgremien und bereitet die Beschlussvorlagen für Council und Vollversammlung vor.
„In der EAZA sind die nachweislich besten Zoos und Aquarien Europas vertreten“, sagt Dr. Kölpin. „Das dürfen wir mit Fug und Recht behaupten, nachdem jedes einzelne Mitglied sich durch einen Audit zertifizieren lassen musste.“ Das Hauptaugenmerk lag dabei auf einer verlässlichen Organisation, einer guten Tierhaltung und der Sicherheit von Belegschaft und Publikum. „Wir wollen den Evaluierungsprozess weiterentwickeln und die Aspekte der Forschung und Bildungsarbeit sowie das Engagement für den Artenschutz künftig noch stärker berücksichtigen“, so Kölpin. „Wir wollen auch die progressivsten Zoos sein und die Tierhaltung immer weiter optimieren. Man darf nie aufhören, neue zoologische Erkenntnisse zu sammeln und anzuwenden.“ Die Zootierhaltung habe seit der EAZA-Gründung 1992 riesige Fortschritte gemacht. „Im direkten Umgang mit den bedrohten Arten haben wir in der internationalen Kooperation der Zoos viel über unsere Tiere, ihr Verhalten, ihre Bedürfnisse sowie Erkrankungen und Heilungsmethoden gelernt, was auch sehr hilfreich ist, um deren Chancen für das Überleben in der Natur zu erhöhen.“
Für den Wilhelma-Direktor sind der Artenschutz im Zoo einerseits und vor Ort in den Herkunftsregionen andererseits zwei Seiten einer Medaille: „Um deren Aussterben zu verhindern, gehört es fest zusammen, hier bedrohte Arten im geschützten Umfeld der menschlichen Betreuung als Reservepopulation zu halten, weil die Bedingungen für sie in der Wildnis immer schlechter werden, und dort zugleich den natürlichen Lebensraum zu schützen oder auch wiederherzustellen. Dafür sind wir auf den Rückhalt in der Bevölkerung angewiesen.“ Deshalb möchte er sich in seiner neuen Position dafür starkmachen, die Rolle der europäischen Zoos für die Artenvielfalt auszuweiten und deren Verdienste zum Erhalt der Biodiversität in der Öffentlichkeit sichtbarer zu machen.
Der Wilhelma traut Kölpin durch ihre außergewöhnliche Vielfalt und Expertise eine treibende Kraft für die Entwicklung zu. Sie gehört mit ihrem Bestand von 1200 Tierarten zu den beiden artenreichsten Zoos in Europa. In ihrer wissenschaftlichen Leitung verfügt sie mit Zoologen und Botanikern über das geballte Wissen, um den Zustand der Ökosysteme als Ganzes im Blick zu behalten.
Der Zoologisch-Botanische Garten in Stuttgart hat dabei eine Vorbildfunktion erreicht. Er ist Mitglied in der Weltnaturschutzunion IUCN und hat inzwischen Millionensummen aus Spendengeldern in rund zwei Dutzend Projekte weltweit investiert, die er seit Jahren nachhaltig begleitet und die belegbare Erfolge aufzuweisen haben. Jede größere neue Anlage in der Wilhelma, ob Neubau oder Umgestaltung von Gehegen, kombiniert die Institution mit der Unterstützung eines Programms für die jeweiligen Tierarten in deren Heimat. Hierfür erläutert sie in der Wilhelma mit Infotafeln, Aktionsständen und Thementagen die Besonderheiten der Tierart und die Bedrohungen, denen diese ausgesetzt ist. „Wir wollen aufräumen mit dem hartnäckigen Vorurteil, Zoos seien nur Freizeitparks mit lebenden Exponaten“, betont Kölpin. „Das wird unserer Bedeutung für den Artenschutz nicht gerecht. Wir können die Welt allerdings auch nicht alleine retten. Doch kann es uns gelingen, zugleich die Begeisterung für die Tierwelt zu fördern und ein Problembewusstsein zu schaffen, was unsere Gäste motiviert, sich selbst für den Erhalt der Arten einzusetzen.“ Bei jährlich rund 140 Millionen Besuchen in EAZA-Zoos gebe es keinen besseren Multiplikator für den Artenschutz.
Auch als Schatzmeister der EAZA blickt Kölpin optimistisch in die Zukunft. Trotz der schwierigen Zeiten habe von allen Mitgliedszoos nur ein einziger wegen der Corona-Pandemie seinen Betrieb aufgeben müssen und es gab keine Verbandsaustritte. „Auf ganz auffällige Weise strömen die Besucherinnen und Besucher wieder in die Zoos – die Zahlen der Wilhelma und der meisten Tierparks europaweit liegen nach Wegfall der Corona-Auflagen auf dem Niveau von vor der Pandemie“, bilanziert er. „Wir haben nicht damit zu kämpfen, dass wie bei Kinos oder Konzerthallen viele Gäste sich umorientiert haben und wegbleiben, weil sie sich in der Zwangspause an Streaming-Dienste daheim gewöhnt haben. Die ganz realen Erlebnisse bei den Begegnungen mit leibhaftigen Tieren lassen sich nicht virtuell am Bildschirm ersetzen.“ Der Ausflug in einen Zoo reiße jeden Gast mit seinen speziellen Gerüchen und Geräuschen für ein paar Stunden aus dem Alltag. „Die Menschen haben uns während der Corona-Schließungen wirklich vermisst“, so Kölpin. „Das zeigt uns, dass Zoos und Aquarien nicht nur systemrelevant für die Artenvielfalt sind, sondern auch schlicht relevant für das Leben der Leute sind. In dem heute weitgehend künstlichen Umfeld des Stadtlebens kann es die Menschen erden, einmal wieder in Kontakt mit der Natur zu kommen. Wenn wir dabei den Wunsch, mehr im Einklang mit der Natur zu leben, wieder zum Keimen bringen können, haben wir schon einen wichtigen Erfolg erzielt.“