Blumenfreunden gehen derzeit die Augen über: Blüte an Blüte reiht sich kontrastreich im saftigem Tiefgrün des Laubs der Kamelienschau in der Wilhelma aneinander – übertroffen nur von der Zahl der Knospen, von denen sich jeden Tag mehr öffnen. Während draußen der karge Winter nasskalt herrscht, entfaltet die Wechselschau in der historischen Gewächshauszeile ihre Farbpalette von hellem Rosa, tiefem Rot und strahlenden Weiß mit gelben Tupfern. Vor einem Jahr war die Pracht ganz ohne Publikum verblüht, weil die Corona-Pandemie eine Komplettschließung des Zoologisch-Botanischen Gartens erforderte.
Die Kamelien zählen zu den ältesten Kulturpflanzen Ostasiens, wo sie im Unterwuchs von Gebirgswäldern auf eher sauren Böden gedeihen. König Wilhelm I. von Württemberg ließ sie einst in sein royales Refugium bringen. 23 seiner ursprünglichen Sträucher sind bis heute übermannshoch zu bewundern. Die Gärtnerinnen und Gärtner der Wilhelma haben die Sammlung inzwischen auf 19 Arten und rund 150 Sorten erweitert.
Ab 1731 kamen die ersten Kamelien nach Europa. Rund 200 Arten der Teestrauchgewächse sind bekannt–
nicht zuletzt die optisch unscheinbare Camellia sinensis, aus deren Blättern das beliebte Getränk aufgebrüht wird. Dass die Zahl der Sorten auf über 30.000 geradezu explodiert ist, liegt jedoch an der Camellia japonica. Züchter in aller Welt haben ihr Blüten mit fantastischen Farben und Formen entlockt: So ist der Blickfang für bestäubende Insekten außer in einfachen Blüten auch halbgefüllt und gefüllt anzutreffen – in Formen wie bei Anemonen, Päonien oder Rosen. In seltenen Fällen treiben die ganz alten Sträucher auch seltsame Blüten.
So brachte die sonst einheitlich gefärbte italienische Züchtung „Madoni“ von 1845 jetzt eine Kuriosität hervor: eine Blüte, die farblich mittig geteilt ist: halb rosa, halb weiß. Zwei rote Züchtungen aus Japan fallen hingegen durch spezielle Staubgefäße auf. Bei „Bokuhan“ sind sie blättrig (petaloid) und bilden ein weißes Herz der Blüte. Bei „Tama-no-ura“ ragen die Staubfäden parallel weit aus den Kronblättern hervor und formen eine Röhre, die im kräftigen Gelb der Pollen gipfelt.
Auch wenn die Kamelien sehr vielseitig daherkommen, sind sie keine Alleskönner: Die Camellia sinensis ist nur wegen ihres Geschmacks in aller Munde. Und die Camellia japonicas gelten dank ihres extravaganten Aussehens als die Stars der Kamelien. Doch die wenigsten von ihnen duften. Denn die Züchter hatten über Jahrhunderte das alleinige Augenmerk auf die Optik gelegt. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde zusätzlich auf den Geruch geachtet. Aber in jeder Familie gibt es besondere Talente: Wie riesig die Unterschiede sind, zeigt die Schau zum Beispiel anhand der Camellia rosthorniana. Die japanische Züchtung „Cupido“ ist eine im Vergleich äußerst kleinblumige Sorte, die dafür einen angenehmen Duft verströmt.