Sind sie Gemüse, Gewürz oder Gefahrgut? An Chilis scheiden sich die Geister. Doch der Vergleich fällt auch
schwer. Innerhalb der Pflanzengattung Capsicum könnten die Extreme nicht größer sein: von aromatischmild über würzig-pikant bis feurig-scharf – was noch untertrieben ist, aber für die Hochzüchtungen fehlen
passende Worte. Die Wilhelma in Stuttgart zeigt in ihrer Chilipflanzenschau ab sofort bis zum 24. Oktober
zirka 100 verschiedene Sorten. Rings um das große Oval im historischen Wintergarten stechen aus dem
üppig-grünen Ambiente überall kräftige Farbtupfer hervor, die sich nicht an das Ampelschema Rot-Gelb-Grün
des bekanntesten Vertreters, der süßlichen Gemüsepaprika, halten. Wer genauer hinguckt, findet sogar
violette und schwarze Früchte. Dabei darf man nicht nur nach der klassischen Zipfelform Ausschau halten.
Runde Beeren, lange Schnürsenkel oder kleine Glöckchen: Chilis gibt es längst genauso in kurioser Gestalt.
Ihre Vielfalt ist gewaltig und trügerisch. „Die Schärfe einer Chili ist weder an ihrer Farbe noch Form abzulesen“,
sagt Fenja Baumgärtner, die im Zoologisch-Botanischen Garten die Chili-Sammlung betreut. Sicher ist nur,
dass jede Frucht an ihrer Spitze weniger scharf ist als an ihrem Ansatz. „Die Schärfe konzentriert sich nicht,
wie oft vermutet, in den Samen, sondern in der Plazenta und den weißlichen Scheidewänden, an denen die
Samen sitzen“, erklärt die Zierpflanzengärtnerin. Jede ausgestellte Pflanze ist mit ihrem Schärfegrad
ausgeschildert. Doch sprengen die Rekordhalter die klassische Zehnerskala. Für alles darüber hinaus bleibt
nur ein ungewisses „10+“. Dagegen veranschaulicht das Maß in Scoville-Einheiten die Relation. Tabasco galt
lange als ein Inbegriff für scharfe Würze. Cayenne-Pfeffer ist schon etwa zehn Mal schärfer, doch ist an der
Weltspitze der „Carolina Reaper“ noch 44 Mal stärker als Cayenne-Pfeffer, gemessen am Capsaicin-Gehalt,
der Substanz, die das brennende Gefühl von Hitze auslöst – zumindest bei Säugetieren, die sich die Pflanzen
damit vom Leib halten.
Was es damit auf sich hat, zeigt ein Blick auf die aus Südamerika stammenden Wildformen. An diesen weniger
auffälligen Pflanzen ist in der Schau gut zu sehen, dass die ursprünglichen Früchte klein bleiben, aufrecht
nach oben wachsen und sich leicht vom Kelch lösen. So sind sie für Vögel gut abzupicken. Vögel spüren die
Schärfe nicht, zermalen die Samen nicht im Schnabel und zersetzen diese nicht im Magen. Anders als
Säugetiere scheiden sie so die Samen unverdaut andernorts wieder aus und verbreiten sie zum Vorteil der
Pflanze. Erst die Menschen haben durch Züchtungen und Kreuzungen eine riesige Vielfalt daraus
hervorgebracht, die mit fleischigen Früchten von den zierlichen Pflanzen baumeln. Die meisten
Ausstellungsstücke sind einjährige Pflanzen, hinzukommen für die Gestaltung als Hochstämme auch zwei-
und dreijährige. „Die Mehrjährigen blühen etwas früher, sind aber nicht ganz so ertragreich“, sagt
Baumgärtner.
„Bei den Züchtern hat sich die Rekordjagd etwas gelegt“, berichtet sie. Der Carolina Reaper ist seit 2013 die
Nummer eins, als er den Trinidad Moruga Scorpion ablöste. Mittlerweile konzentriert sich der botanische
Ehrgeiz meist mehr auf besondere Farben und Formen. Die bleistiftdünnen Früchte der Sorte „Thunder
Mountain Longhorn“ gehören zum Beispiel mit mehr als 30 Zentimetern zu den längsten der Welt. Nett
anzuschauen ist zudem die Sorte „Elefant“, deren Frucht wie ein Rüssel geriffelt ist. Eine überbordend bunte
Palette bieten die Habaneros: außer gelb und grün auch weiß, über senf- und lachsfarben weiter bis zu einem
purpurnen oder schokoladigen Teint.
Viele Erklärtafeln, eine Schauwand mit einem Sortiment an Chili-Früchten aller Art sowie eine Vitrine mit
beispielhaften Produkten, die mit Chili verfeinert sind, runden die Ausstellung ab. Scharfer Senf mit Chili liegt
nahe. Schokolade mit Chili ist inzwischen verbreitet. Aber an einer scharfen Zahnpasta mit Chili scheiden sich
die Geister vermutlich wieder. Sie soll gut für die Durchblutung des Zahnfleischs sein.